Augen zu und durch (die Waschstraße)

 

Als Fotografin stehe ich liebend gerne hinter der Kamera. Ich liebe es aber genauso, die Kamera auf das Stativ zu packen, um mich vor der Linse in Szene zu werfen. Wenn man nämlich weiß, wie man sich am besten positioniert, dann gelingen Treffer, die ein gutes Gefühl vermitteln. Das ist es auch, was ich so liebe am Fotografieren von Personen. Ein gutes Gefühl sich selbst gegenüber, Zufriedenheit und eine frische Portion Selbstliebe vermögen unglaubliche Wendungen im Innen sowie wie Außen. Davon bin ich überzeugt. Viele fühlen sich vor der Kamera irgendwie verloren oder wissen nicht, wie sie sich drehen oder wenden sollen. Und dann dieser unterschwellige Stress, dass es bald Klick macht und dann ist das alles eingefroren. Wenn es dann nicht gefällt, das "gestellte" Bild? Oder es gar unmöglich aussieht? Viele sagen, Schnappschüsse, bei denen sie nicht wissen fotografiert zu werden, gefallen ihnen am besten. Klar gibt es diese Glückstreffer. Was aber meistens wirklich dahinter steckt ist, dass bei so einem Zufallsklick keine Anspannung im Spiel war. Demnach werden meiner Meinung nach jene Bilder, die bewusst inszeniert sind, UND die Gleichgültigkeit, also völlige Entspannung vereinen, noch viel besser als jeder unwissentlich geschnappter Schuss. 

 

Ich liebe es, wie das Leben auch in den kleinen Dingen mit uns "spricht".

 

Ich erinnere mich als ich ungefähr zwölf Jahre alt war. Meine Mutter schickte mich zum Fotografen, um ein Passbild zu machen. Innerlich angeknackst, was mein Äußeres betrifft, schleppte ich mich dort hin. Ich erinnere mich ganz genau daran. Schon beim Betreten des Fotostudios nahm man mich zwar wahr, aber nicht wahr. "Ich brauche bitte ein Passfoto", sagte ich. Mit einem Wink wurde ich aufgefordert zu folgen. Ich spürte, dass es meinem Gegenüber ziemlich egal war, was oder wer da sitzt. Es galt ein Bild zu schießen und das möglichst schnell. Die Person huschte kurz hin und her, nahm eine unförmig große schwarze Kiste in die Hand, murmelte irgendwas von wegen "Schau hier her", und mit dem Gedanken "Wohin? Da hin?" machte es Puff, der Blitz traf mich und wenig später drückte mir selbige Person ein hübsches Passbildmäppchen in die Hand, mit einem grässlichen Bild einer deformierten und schielenden Person.

 

Für dieses Desaster musste ich teuer bezahlen. Mein Geld UND mein letztes Fuzerl Selbstwert ... alles war weg.

Ich rannte zurück nach Hause und heulte wie ein Schloßhund über meine festgehaltene Hässlichkeit. Natürlich war nichts Schlimmes passiert, aber das schallende Gelächter meiner Mama (was natürlich nicht böse gemeint war und ich hätte aus heutiger Sicht bestimmt herzhaft mitgelacht) und das nach Luft ringen meiner Geschwister beim Anblick meines misslungenen Reisepassfotos, hatte einer kleinen unsicheren vorpubertären Seele den Rest gegeben.

 

Heute kann ich selber darüber lachen. Ich hab das Foto damals zwar vernichtet, aber in meinem Kopf seh ich es noch! :-)))

 

Und immer wenn heute jemand zu mir in mein Studio kommt, wenn auch "nur" für ein Passfoto! Nehm ich mir zu Herzen, nicht zu wissen welches "Innen" vor mir sitzt und ich versuche nach bestem Gewissen ein Bild einzufangen, welches dieses schöne "Oh wow, das sieht ja voll gut aus! Danke!" zaubert.

Dann bin ich happy, weil ich weiß, was ein blöder Treffer im schlimmsten Fall auslösen könnte. Und wenns nicht passt, dann machen wir noch eins und noch eins. Irgendwann ist die letzte Anspannung weg und Zack- Treffer.

 

Mir ist schon klar, dass solche "Kleinigkeiten" wie ein misslungenes Passfoto in einer Welt voller Sorgen, Ängste, Krieg, Brutalität, Krankheit und all diese verstörenden Machenschaften völlig unnötig erscheinen à la "Es gibt ja wohl Schlimmeres".

Ja klar kann man darüber streiten und augenrollend plustern, dass das ja wohl lächerlich ist wegen SOWAS aus der Fassung zu geraten. Jap. 

 

Doch ... entspringt nicht jede Sorge, jede Angst, jeder Krieg und jede Krankheit  einer aus der Fassung geratenen Sache?

 

Wenn Kleinigkeiten unter den Tisch gekehrt werden, können viele angesammelte "Kleinigkeiten" irgendwann ein ganz schön großer Haufen werden. 

Irgendwann hebt sich der Tisch, weil der Berg gewachsen ist und all die kleinen "Ist doch lächerlich-Dinge" bäumen sich auf. Auf einem wackeligen Tisch lässt sich nicht mehr bequem arbeiten. Geliebte Dinge fallen um, zerbrechliche brechen oder Wichtiges rollt zur Kante und fällt zu Boden.

Einen zusammengefalteten Karton unter einen wackeligen Tischfuß zu schieben, funktioniert auch nur oberflächlich. Solange der Berg darunter nicht wächst und unerwartete Erschütterungen im Außen dann nicht eintreffen, bleibt die Sache auch halbwegs stabil. 

 

Meistens findet man in einer hektischen Welt wie dieser auch kaum Zeit, Kraft und Ruhe, um sich um lächerlich scheinende Kleinigkeiten zu kümmern. 

Ich muss zugeben, das ist einfach Kacke. Ich finde, es sollte jeder in den Genuss der "Langen Weile" kommen dürfen. 

 

Was ich damit meine, ist nicht die Langeweile, wie wir sie "kennen". 

Ich meine nicht die Langeweile, die wir für stundenlanges Fernsehen oder hypnotische Handy-Wisch-und-Scroll Stunden verplempern. Das ist nämlich die Form der Langen-Weile, die alles dicht macht, weil der Blick in die Ferne schweift, weg vom Selbst.

Ich meine die lange-Weile die  notwendig wäre für ein stressloses Aufräumen im Innen. 

Doch wo und wie könnte diese Ruhe in einem Alltag voller Müssen und Sollen Raum finden?

 

So eine "Pause" könnte Platz machen für Fragen wie "Was mach ich denn wirklich gern und verbringe ich meine Tage eigentlich immer so, wie ich mir das wünsche? Was liebe ich, wohin zieht mich meine Intuition? Was brauche ich um innerlich abzuheben?" Doch der Stress des Alltags macht immer wieder einen Strich durch die Rechnung und so hantelt man sich von einem Tag zum anderen und tut vielleicht Dinge die nicht erfüllend, nicht beglückend, nicht bereichernd sind. Es funktioniert obwohl es echt anstrengend sein kann.

 

Bei dem Thema Stress, gibt es ja bekanntlich den "positiven" sowie "negativen" Stress.

 

Genauso verhält es sich mit der Langeweile in meinen Augen. Es gibt positive und negative Langeweile.

Negative Langeweile lässt in ein Loch sinken und verschließt sich dem Innen, weil es im Außen nach Ablenkung sucht.

 

Positive Langeweile lässt ebenfalls in eine Art "Loch" sinken, doch dieses Loch ist vielmehr ein Tunnel, der wie eine Waschstraße funktioniert.

Es geht nach innen, quasi durch sich selbst durch. Dabei kann vieles unbewusste bewusst werden. In der positiven langen Weile verlieren Zeit und Raum Bedeutung . Ergo gibt es auch keinen Druck und kein TickTack weil es kein "schneller", kein "langsam", einfach NICHTS gibt.

 

Nichts, nur dich und die still gestandene Zeit, in der du alles um dich herum in aller Ruhe betrachten kannst. 

Das ist so wie in einer Auto-Waschstraße. Dein Auto fährt da ja auch nicht von alleine hin und durch, wenn es paniert ist. 

Du musst es schon hinfahren. Doch wenn du erst mal dort bist kannst du dich einfach zurücklehnen und abwarten.

 

Alles was noch zu tun ist bevor es losgeht ist die Fenster schließen und vorsichtig in die Spur rollen ... es hakt ein und die Mechanik zieht dein Auto in das "Loch". Jetzt kannst du selbst die Augen schließen und dir vorstellen du bist das Auto.

Vielleicht wird es am Anfang ganz schön dunkel und die ersten Tropfen rieseln. Unheimlich? Möglich. Aus Tropfen werden Bäche, es "waschelt".

Das macht vielleicht Lärm oder fühlt sich kalt an, aber es wird bald besser!

Die Shamponierung! Da weicht alles auf was irgendwo picken geblieben ist oder wo sich etwas abgesetzt hat.

Alles was aufgedrückt wurde, alles was selber aufgeklebt  oder worin sich gesult wurde wird locker, und glitschig. Cool bleiben!

Es dauert nicht mehr lange, dann kommt das alles weg. 

Plätzlich routieren fette Bürsten links und rechts neben dir. Sogar von oben wischt und scheuert es. Unter dir beginnt es zu beben und die Unterbodenwäsche poliert dir alle Bereiche die nicht ganz so einsichtig sind.  Du wirst möglicherweise nach den drehenden Bürsten in der Waschstraße recht nackig fühlen. 

Macht nix- das ist das eigentliche "echt". Ohne all den Staub und Krusten die sich angesammelt haben. 

 

Nach der reinigenden Bürstenmassage die dich von oben bis unten abgeschrubbt hat kommt ein warmer Sommerregen und es wird sogar schon heller. Die Bürsten versperren den Weg nicht mehr und die klaren Wassertropfen spülen dir die Sicht frei. Hier kannst dann schon das "Licht am Ende des Tunnels" sehen. Jetzt willst du nur noch raus und glänzen! 

 

Aber dann... Dann hast du vor dir so einen blöden Balken der, umso näher er kommt, droht dich zu erdrücken! Du denkst dir möglicherweise "Verdammt das Ding geht nicht weg! Es wird mich zermantschen! Blöder Balken geh hoch!" Zum Glück hast du an diesem Punkt Klarsicht erreicht und du kannst ganz deutlich lesen: "KEINE PANIK- DER BALKEN FÄHRT IM RICHTIGHEN MOMENT HOCH. BLEIBEN SIE RUHIG."

 

Und weil das da steht, VERTRAUST DU und was passiert? Der Balken hebt sich! Wie von Zauberhand. Aus dem Balken strömt herrlich warme Luft, die dich trocknet und auch die letzten Staubpartikel von "nicht du" werden weggefegt. Dann steht alles still.

 

Die Tür geht auf und die Ampel schaltet auf Grün.

 

"Bitte starten sie jetzt den Motor und fahren sie vorschichtig aus der Waschstraße." kannst du jetzt lesen. 

Es ist still, sonnig und dein Motor brummt zufrieden. Der neue Glanz reflektiert die Sonnenstrahlen und Blicke auf dich ziehend gleitest du deiner Wege.

 

Lange Weile kann so reinigend sein, wenn man sie im positiven Sinne für sich nutzt. Nämlich nach innen. Wie viele von uns wünschen sich sehnlichst mal eine Ruhephase die einfach anhält. Solange, bis man damit "fertig" ist. Soooo lange, bis die innere Ampel auf Grün stellt. 

 

Ich denke, das wäre sehr hilfreich und heilsam in so ziemlich jeder Hinsicht. 

 

Huch jetzt bin ich mal wieder abgeschweift! Wo bin ich denn hergekommen? Ach ja, Passfoto! Ein misslungenes Passbild kann ein herzhafter Brüller sein, kann aber auch je nach innerlichen Tisch-Umständen einfach zu viel sein. Und auch wenns ja "nur" ein Passfoto ist. Das darf auch schön sein! Finde ich. 

 

 

Ich liebe es hinter der Kamera zu stehen und ich liebe es vor der Kamera zu stehen. Es ist einfach lustig. Als Teenager fand ich das noch total blöd, aber seitdem ich weiß dass alles eine Frage der Perspektive ist, tu ich es liebend gern. Als Anlass reicht mir wie beim letzten Mal, eine vergessene Jacke aus dem Jahre Schnee.

Keine Ahnung warum die in den Tiefen meines Kleiderschrankes versank und nie getragen wurde. Die Jacke ist der Hammer! Ultrahübsch finde ich. Hab ich vor Ewigkeiten gekauft. Hab auch nachgesehen ob es die noch zu kaufen gibt. Und was seh ich da? Ja- es gibt sie. Es gibt sie jetzt sogar noch schöner! Ich verlink sie dir am Schluß! Schau mal rein, vielleicht wär das ja was für dich! Und wenn nicht, dann stöber mal deinen Schrank auf etwaige ungetragene Schätze durch! Mach Fotos oder besser - lass welche machen und freu dich nachhaltig über DICH SELBST!

 

Alles Liebe und bis bald, Lola

 

Hier der Link zur Jacke:

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PS: Tippfehler, Rechtschreibfehler, Zeichensetzfehler sind mir schnurz und wem sie nicht schnurz sind, der hat Pech gehabt ;-)